Interview mit Claudia Graf
Es gibt immer noch einiges zu tun
Heute ist der «Tag des weissen Stocks». Schweizweit machen Organisationen auf Anliegen von sehbehinderten und blinden Menschen aufmerksam. Im Kanton Solothurn übernimmt dies die Fachstelle Fokus-plus, die Anlaufstelle für Menschen mit einer Sehbehinderung. Stellenleiterin ist Claudia Graf.
Sie werden heute in Solothurn und Olten weisse Rosen verteilen. Worauf wollen Sie aufmerksam machen?
Claudia Graf: Wir wollen ins Bewusstsein rufen, dass Menschen mit einem weissen Stock in der Öffentlichkeit Anliegen haben. Das sind zum Beispiel barrierefreie Zugänge oder die mündliche Durchsage der nächsten Stationen im öffentlichen Verkehr. Hier hat sich schon viel getan in den vergangenen Jahren.
Es gibt aber auch Bereiche, in denen wir noch nicht so weit sind. Zum Beispiel bei Websites. Man könnte die so gestalten, dass auch Blinde dank Sprachausgabe diese selbstständig bedienen können. Dabei liest ein Programm vor, wie man sich auf der Website zurechtfindet. Das ist noch nicht überall so.
Welche Rolle kann dabei die Fachstelle Fokus-Plus spielen?
Wir treten für die Anliegen der Sehbehinderten ein. Wir unterstützen beispielsweise die SBB, wenn sie an Bahnhöfen Leitlinien realisieren wollen. Oder wir beraten Gemeinden, wo in den Quartieren akustische Ampeln sinnvoll wären. Wir beraten aber auch Privatpersonen, die zum Beispiel umgezogen sind.
Gleichzeitig unterstützen wir blinde und sehbehinderte Menschen im Alltag. Wir helfen zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen, klären ab, ob sie Anspruch auf Hilflosenentschädigung haben, empfehlen auch einfache, zweckmässige Hilfsmittel. Zum Beispiel Lupenbrillen. Viele Leute kommen auf uns zu, weil sie gerne wieder lesen können würden. Daneben gibt es jede Menge nützliche Hilfsmittel wie sprechende Küchenwaagen oder Agenden, die extra gross geschrieben sind.
Und wer bezahlt das Ganze?
Wir sind ein Team von fünf Fachpersonen, die Teilzeit arbeiten. Die Hälfte der Kosten übernimmt der Bund, unsere Dachorganisation hat mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Das ist ein gedeckelter Betrag, wenn wir mehr leisten als abgemacht, steigt der Beitrag nicht. Die andere Hälfte müssen wir über Spenden und Legate finanzieren.
Seit 2017 erhalten Sie kein Geld von den Gemeinden mehr. Die freiwilligen Beiträge machten zuvor rund einen Fünftel des Budgets von Fokus-plus aus. Mussten Sie deswegen Leistungen streichen?
Das können wir wegen unserer Leistungsvereinbarung mit dem Bund gar nicht, sonst erhalten wir von dort kein Geld mehr. Hier schneidet man sich ins eigene Fleisch. Die Menschen werden älter, der Bedarf nach unserem Angebot grösser, und gleichzeitig gibt es weniger Geld. Dank vieler Spender, auch aus den eigenen Reihen, konnten wir die Zeit bis jetzt überbrücken. Momentan befinden wir uns in Verhandlungen mit dem Kanton. Wir hoffen, auch mit ihm eine Leistungsvereinbarung abschliessen zu können.
Dann werden Sie Ihr Angebot beibehalten?
Ja. Denn das ist unsere Kernaufgabe. Und es gibt immer noch einiges zu tun. Zum Beispiel ist der Abbau von Post- oder Bahnhofschaltern ein Problem. Aber ich schätze die Hilfsbereitschaft, die grundsätzlich vorhanden ist.
Quelle: Solothurner Zeitung vom 15. Oktober 2019, Text Raphael Karpf